
Der Bundestagsabgeordnete und SPD-Kreisvorsitzende Martin Rabanus begrüßte über 100 Gäste im Kursaal des Schlangenbader Parkhotels. Starke Botschaften prägten die Veranstaltung mit dem Hauptredner Stephan Gras, Pfarrer der Bonifatiusgemeinde Wiesbaden, der spanischsprachigen Gemeinde des westlichen Bistums Limburg und stellvertretender katholischer Stadtdekan von Wiesbaden. Auch zum Abschluss der Veranstaltung blieben viele Gäste zum persönlichen Gespräch.
Martin Rabanus dankte in seiner Begrüßung den runden Tischen und ehrenamtlichen Initiativen in den Städten und Gemeinden für ihr Engagement für Flüchtlinge im Kreis. Er schloss auch die Bürgermeister und die Kreisverwaltung ein, die für die Unterbringung vor Ort, Ausstattung, Schulbesuch sorgen. Dieses Engagement zu würdigen sei der Grund für den Themenschwerpunkt des Empfangs.
Landrat Burkhard Albers (SPD) betonte, dass die Flüchtlinge nicht aus freien Stücken kommen: Sie nehmen die Strapazen und Risiken ihrer Flucht auf sich wegen Kriegen, Diktaturen oder unmenschlichen Lebensbedingungen. Während die Zahl der Unterzubringenden über Jahre zwischen 80 und 150 lagen, stiegen sie 2013 auf 450, 2014 auf 900 und für 2015 werden über 1.000 Flüchtlinge im Rheingau-Taunus prognostiziert. Es sei die Aufgabe der Gesellschaft, sie aufzunehmen und ihnen Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen. „Ich bin beeindruckt von der Welle der Hilfsbereitschaft, die sich überall mit den runden Tischen und Freiwilligen zeigt.“ Das Beispiel von Adrin Takhsh, geboren im Iran und heute deutsche Staatsbürgerin, die heute selbst Deutschunterricht für Flüchtlinge anbieten möchte, zeigt für Albers die Bedeutung von Sprachkenntnissen. Nur ein Teil der Flüchtlinge würden im Rheingau-Taunus bleiben, aber genau sie können mit ihren Erfahrungen und Qualifikationen eine Bereicherung sein. Er freue sich auf diese Willkommensarbeit und auf die Gespräche und Begegnungen im Anschluss.
Der Landtagsabgeordnete Marius Weiß besuchte tags zuvor die Einweihung des Heidenroder Windparks. Er stellte die Frage, was Erneuerbare Energien und Flüchtlinge miteinander zu tun haben: „Es kommt auf die Initiative der Menschen vor Ort an, die sich nicht von populistischen Argumenten beeinflussen lassen und etwas bewegen.“ Klar ist für Weiß, dass die Unterstützung des Landes für die Initiativen in den Kommunen besser werden müsse. Er nannte beispielhaft den Hohensteiner SPD-Vorsitzenden Daniel Ott und Bürgermeister Daniel Bauer (SPD), die in Begleitung von Flüchtlingen aus dem Irak und Syrien gekommen waren. Weiß zeigte sich beeindruckt, wie schnell diese die schwierige deutsche Sprache erlernt haben. Das jüngste Politikbarometer mache deutlich, wie groß der Rückhalt in der Bevölkerung für Einwanderung und Willkommenskultur sei.
Nach einem jazzigen Intermezzo des Pianisten Michael van den Valentyn (earlyjazzpiano.de) illustrierte der Hauptredner Pfarrer Stephan Gras am Beispiel seiner Arbeit ganz konkret die bunter werdende Gesellschaft. Er wird bei der seelsorgerischen Arbeit in Wiesbaden von zwei jungen Kollegen aus der Ukraine und aus Nigeria unterstützt. Der nigerianische Kollege hat Bekannte durch den Terror von Boku Haram verloren und engagiere sich dennoch für die Verständigung mit dem Islam. Ein dritter Kollege sei sportbegeistert und setzt sich für die kostenfreie Mitgliedschaft von Flüchtlingen in Sportvereinen ein. Gras selbst hatte bei Bischof Kamphaus nach Ende seiner Ausbildung als Kaplan einen Arbeitseinsatz in Argentinien erbeten, auch in einer Urwaldgemeinde. Selbst dort traf er brasilianische Auswanderer, die vor der Chancenlosigkeit ihrer Heimat flüchteten.
Nach der Arbeit in Oestrich-Winkel reize ihn die bunte Stadt Wiesbaden: Während ältere Katholiken zu 90% Deutsche seien, seien 70% der Jüngeren Migranten. In der spanischsprachigen Gemeinde seien die Mehrheit Südamerikaner. Viele sprechen die deutsche Sprache nicht, weil sie als Angehörige der US-Army beispielweise internationale Schulen besuchen.
Für Pfarrer Gras ist Einwanderung inzwischen ein Normalzustand. Deshalb konnte er auch nicht verstehen, dass die Landesregerung Beratungsstellen für Migranten eingespart habe – Integration sei Daueraufgabe. Deshalb plagten ihn auch Magenschmerzen, wenn von „Wirtschaftsflüchtlingen“ gesprochen werde. Ganz selbstverständlich gehe man heute zum Italiener oder zum Griechen, aber Integration dürfe sich nicht im Austausch von Rezepten erschöpfen. Der heilige Benedikt habe seinem Orden auch eine Regel gegeben, wonach der jüngste Mönch ausdrücklich zum Reden ermutigt werden und gehört werden soll. Gerade ihm gebe Gott häufig ein, was das Richtige sei. Hier zeige sich die Bedeutung des Wortes Toleranz – zu fragen und die Antwort akzeptieren, ggf. auch ertragen: die Stimme ermutigen und hören zu wollen, die sonst schweigen würde, weil sie als klein und unwichtig gelte.
Die Zusammenarbeit mit anderen Religionsgemeinschaften ist dem stellvertretenden Stadtdekan ein wichtiges Anliegen. Als eine Andacht zum zehnten Jahrestag des 11.9. geplant wurde, wandten sich die beiden christlichen Kirchen erstmals auch an die muslimischen Gemeinden. „Sie zeigten sich erfreut, dass sie gefragt wurden, auch wenn das Thema für sie eine Herausforderung war.“ Ganz in diesem Sinn planen die Wiesbadener Gemeinden bei der kommenden „Nacht der Kirchen“ im September auch Lesungen der jüdischen Gemeinde und die Einbeziehung geöffneter Moscheen.
Freude an Vielfalt bedeute aber auch konkret, leere Pfarrhäuser für Flüchtlingsfamilien zur Verfügung zu stellen, beim „Familienkaffee“ ins Gespräch zu kommen oder wie in Stuttgart ein Pfarreigelände im „Kombisystem“ zu entwickeln: für Flüchtlinge, Studierende und auch als Eigentumswohnungen, um Synergien und Chancen zu nutzen –das könne ein Modell für brachliegende Militärliegenschaften und das „Star Hotel“ in Wiesbaden sein. Willkommenskultur, Ausländerbeiräte und Bürgerentscheide sind für ihn weitere wichtige Anforderungen an die Politik, das Zusammenleben und Miteinander besser zu gestalten.
Bei den anschließenden Gesprächen zeigten sich die Gäste vor allem von der mitreißenden Rede Pfarrer Gras‘ begeistert. Die Veranstaltung endete deutlich nach dem ursprünglich geplanten Ende um 13 Uhr.